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Phares interview in Cicero Magazine: "Es besteht die Gefahr eines neuen 9/11"
By Dr Walid Phares
Jul 3, 2008 - 9:47:00 AM

Phares interview in Cicero Magazine: "Bin Laden wird überschätzt“. Die Gefahr für einen neuen 11. September sei wegen Trittbrett-Terroristen, die Al Qaida übertreffen wollen, noch größer geworden; sagt Walid Phares, international renommierter Experte für Geschichte und Politik des Nahen Ostense. Was Phares über Osama Bin Laden, den Jihad und das nötige Umdenken europäische Politiker zu sagen hat, lesen Sie exklusiv im Cicero Online Interview.

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"Es besteht die
Gefahr eines neuen 9/11"

Die Gefahr für einen neuen 11. September sei wegen Trittbrett-Terroristen, die Al Qaida übertreffen wollen, noch größer geworden; sagt Walid Phares, international renommierter Experte für Geschichte und Politik des Nahen Ostense. Was Phares über Osama Bin Laden, den Jihad und das nötige Umdenken europäische Politiker zu sagen hat, lesen Sie exklusiv im Cicero Online Interview.


Walid Phares


„Bin Laden wird überschätzt“
Interview mit Walid Phares

Walid Phares, geboren im Libanon, ist ein international renommierter Experte für Geschichte und Politik des Nahen Ostens. In mehreren Büchern hat er sich im Besonderen mit dem globalen Jihad, dem Terrorfeldzug
der islamistischen Terroristen, beschäftigt. Er berät sowohl US- als auch europäische Politiker. Derzeit ist er Visiting Fellow der Brüsseler European Foundation for Democracy.
Im Interview mit Cicero Online erklärt Walid Phares, was den Jihad im Innersten zusammenhält – und warum Europas Politiker umdenken müssen.


Herr Phares, was haben der Islam und islamistische Terrorgruppen miteinander zu tun?

Der “Jihadismus” ist keine radikalisierte Religion, wie viele glauben. Ich würde die Bewegung eher als Ideologie mit religiösen Anleihen bezeichnen. In der westlichen Welt stellen sich die Jihadisten als Repräsentanten des Islam dar. Doch genau wie bisher alle totalitären Bewegungen liegen sie damit falsch.

Der Anschlag aufs New Yorker World Trade Center eröffnete den globalen Jihad gegen die nichtislamische Welt. Wie hat sich die westliche Wahrnehmung der Bedrohung seitdem verändert?
Die erste Frage, die die USA sich nach dem 11. September stellten, war: Warum hassen sie uns? Nachdem sie sich von dem Schock erholt hatten und sich ein wenig mit den Wurzeln des islamistischen Terrorismus beschäftigt hatten, wurde ihnen klar, dass der Jihadismus schon einige Jahre auf dem Buckel hat: zunächst hatten die Protagonisten naturgemäß die islamische Welt infiltriert und dort einen Krieg der Ideen initiiert. Aber auch im Westen hat die Bewegung bereits in den frühen Neunziger Jahren begonnen, Fuß zu fassen und Anhänger zu finden. All das war bis dato ziemlich spurlos an der westlichen Politik vorbeigegangen.

Mehrere Studien haben mittlerweile das zunächst beliebte Erklärungsmuster entkräftet, dass die meisten Terroristen aus Armut radikal werden. Wie erklären Sie sich die wachsende Zahl von Islamisten in allen Gesellschaftsschichten?
Diese Erklärung hat die Grundzüge des Jihadismus ignoriert. Die islamistischen Gotteskrieger haben keinen Plan für das Hier und Jetzt: wer wieviel Geld bekommt, spielt keine Rolle, denn die wahre Gerechtigkeit ist in der anderen Welt. Dieses ideologische Versprechen gibt der Bewegung Stärke, denn es macht die Welt verständlich und gibt dem Leben einen Sinn – auch wenn der außerhalb liegt.

Wie schätzen Sie die Rolle von Al Qaida im globalen Jihadismus ein?
Es gibt im weltweiten Jihad mehrere Armeen, mehrere Richtungen. Neben Al Qaida der mächtigste Zweig sind die Salafisten, die in den 1920er Jahren zunächst in Saudi-Arabien und Ägypten entstanden sind. Sie haben dasselbe “Endziel” wie Al Qaida: Die Welt soll ein Gottesstaat werden, in dem das Recht der Scharia gilt. Aber sie verfolgen eine andere Strategie als die Bin Laden-Jünger. Der typische Salafist sagt: wir brauchen keinen Terrorsmus, aber wir müssen so lange für die Ideologie werben, bis wir eine gesellschaftliche Mehrheit sind. Die Salafisten arbeiten also von innen. Die heißblütige Al Qaida dagegen beruft sich auf den Sieg der Islamisten gegen die Russen im afghanischen Bürgerkrieg in den 80er Jahren: wenn wir ein Machtzentrum der Ungläubigen besiegen konnten, dann schaffen wir es auch bei den anderen, ist ihre Argumentation.

Wie gut ist die Al Qaida organisiert?
Von den frühen 90er Jahren bis 2001 war die Al Qaida sehr zentral organisiert. Die Leitung saß in Afghanistan, und die Struktur war klar. Nach den New Yorker Terroranschlägen musste die Organisation Afghanistan verlassen und sich zerstreuen. Heute hält sich ein Teil der Führung in Pakistan auf. Aus Sicherheitsgründen, aber auch, weil er krank ist, kann Osama bin Laden nicht weit reisen. Das kann man daran sehen, dass seine Videobotschaften seit langem schon immer in derselben Gegend aufgezeichnet werden. In den letzten acht Jahren hat sich in vielen verschiedenen Ländern eine zweite Generation von Al Qaida-Zellen gebildet. Die Organisation ist also mittlerweile dezentral, und die Führung dient den einzelnen Gruppen zwar noch als Identifikationssymbol, hat aber an Macht verloren.

An bin Ladens Thron könnte also gerüttelt werden?
Ich glaube, bin Ladens Bedeutung ist auch vorher schon überschätzt worden. Was Al Qaida zusammenhält, ist die gemeinsame Ideologie. Aber solange bin Laden lebt, wird er nicht ersetzt werden, weil er das bislang erfolgreichste Attentat gegen den Westen symbolisiert. Er ist der Kalif des Kampfes.

In seinen Videos droht bin Laden in letzter Zeit häufiger damit, dass Al Qaida sich Zugang zu Massenvernichtungswaffen verschaffen werde. Wie realistisch ist das?
Ich glaube bin Laden gerne, dass die Al Qaida daran arbeitet, sich Zugang zu solchen Waffen zu verschaffen. Wenn es klappt, werden wir es bald merken: denn dann werden sie sofort zuschlagen.

Wie groß ist also das Risiko eines neuen 11. Septembers?
So lange wie es Al Qaida gibt, müssen wir auf jeden Fall mit einer solchen Attacke rechnen. Die Gefahr ist noch größer geworden, weil es mittlerweile Trittbrett-Terroristen gibt, die Al Qaida übertreffen wollen. Die Jihadisten haben keinen Zeitplan. Sie nutzen jede Waffe, die sie in die Hand kriegen.

Gilt das auch für den europäischen Kontinent?
Die Europäer stehen vor drei verschiedenen Bedrohungen. Die erste geht von den Al Qaida-Zellen aus, die für die Anschläge in London und Madrid verantwortlich sind. Sie sind allerdings dadurch relativ berechenbar, dass sie politischen Motiven folgen: sie attackieren zum Beispiel die Briten, weil sie Soldaten in den Irak geschickt haben. Die zweite und nicht so berechenbare Bedrohung geht von den Salafisten aus. Sie stehen nicht mit den Al Qaida-Zellen in Kontakt, wollen ihnen aber Konkurrenz machen. Es ist schwierig, sie zu enttarnen, weil die meisten von ihnen eingebürgerte Europäer sind. Anders als Al Qaida folgen sie keinen politischen Motiven. Ihr Hass richtet sich ganz generell gegen die westliche „Welt der Ungläubigen“. Die dritte Gefahrenquelle geht von der Hisbollah aus. Wenn zum Beispiel die außenpolitische Spannung zwischen Europa und Iran noch zunehmen sollte, dann besteht die Möglichkeit, dass die Hisbollah in Europa Rache übt.

Wie sollte Europa mit den Bedrohungen umgehen?
Die europäischen Politiker versuchen das Problem momentan noch von der falschen Seite her zu bekämpfen. In meinen Treffen mit europäischen Regierungspolitikern und Experten spüre ich immer vor allem die eine dringliche Frage: wie können wir die Jihadisten „entradikalisieren“? Ich finde, die Priorität sollte auf der Prävention liegen. Europa unterschätzt die nach wie vor wachsende Anziehungskraft der Ideologie.
Wenn ihr Europäer jetzt nicht versucht, anfällige Jugendliche für euch zu gewinnen, dann werden die Kosten für die „Entradikalisierung“ in der Zukunft ins Unermessliche steigen – von der wachsenden Terrorgefahr ganz zu schweigen.

Vielen Dank für das Gespräch.

Die Fragen stellte Sophie Diesselhorst.

Foto: European Foundation for Democrac


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